Expert*innen aus den Bereichen Gesundheit, Wissenschaft, Wirtschaft und Politik trafen sich am 26. Oktober zur Datenmedizin-Konferenz der Digitalen Modellregion Gesundheit Dreiländereck (DMGD) in Siegen. Unter dem Thema „Datenmedizin – Was kann Digitalisierung für ein überfordertes Gesundheitssystem leisten?“ bot die Veranstaltung den Expert*innen Gelegenheit, über die Sicherstellung der zukünftigen medizinischen Versorgung mithilfe digitaler Lösungen zu diskutieren. Die Konferenz konnte in Präsenz vor Ort oder per Livestream verfolgt werden.
Dr. Olaf Gaus, geschäftsführender Leiter der DMGD, eröffnete die Veranstaltung. Vor dem Hintergrund der zu erwartenden rückläufigen Gesundheitsressourcen in den nächsten Jahren wies er auf den Transformationsprozess der Digitalisierung und dessen Auswirkungen auf die verschiedenen Sektoren der gesundheitlichen Versorgung hin. Er dankte Prof. Dr. rer. nat. Rainer Brück, der das Themengebiet der ‚Datenmedizin‘ mitentwickelt und intensiv vorangetrieben hat, herzlich für sein großes Engagement. Prof. Brück, Inhaber der Professur für „Medizinische Informatik und Mikrosystementwurf“ an der Lebenswissenschaftlichen Fakultät der Universität Siegen, hielt im Anschluss seine Keynote mit dem Titel „Datenmedizin – von der Patientenmobilität zur Datenmobilität“.
Datenmedizin – mit Daten heilen
„Wir steuern im ambulanten Bereich und in weniger dicht besiedelten Regionen auf ein Versorgungsproblem hin“, erläuterte Prof. Dr. Rainer Brück in seinem Vortrag. Es würde immer schwieriger, Hausarztpraxen nachzubesetzen. Da sich die gesundheitliche Situation der Patient*innen zu einem gewissen Teil an messbaren Vitaldaten wie Blutdruck oder Herzfrequenz erkennen lässt, könnte die digitale Übermittlung dieser Daten, die im Rahmen eines von den Ärzt*innen verschriebenen Monitorings von den Patient*innen selbst gemessen werden, dafür sorgen, dass nur die Patient*innen mit auffälligen Werten in den Praxen vorstellig werden. Der Wegfall von Kontrollbesuchen der Personen mit Werten im Normalbereich würde den Mediziner*innen sowohl mehr Zeit für Gespräche mit erkrankten Personen als auch die Möglichkeit bieten, insgesamt mehr Patient*innen zu behandeln. Zudem sollte die Vorauswertung der Daten durch eine KI ermöglicht werden. Prof. Dr. Rainer Brück sprach von „einer neuen, digital unterstützten Versorgungsform, bei der der Patient nicht aus dem Fokus gerät“. Der digitale Zwilling der Patient*innen in Form der Vitaldaten könnte viele Routinebesuche in den Praxen ersetzen. Als Beispiel führte Prof. Dr. Rainer Brück das bereits abgeschlossene DataHealth-Projekt der DMGD in Burbach an, in dessen Rahmen ein solches Vitaldatenexperiment erfolgreich durchgeführt wurde.
Ländliche Gesundheitsversorgung – ein unlösbarer Versorgungsfall?
Stefan Hundt, Projektbegleiter der DMGD und ehemaliger Bürgermeister der Stadt Lennestadt, begrüßte mit Dr. med. Anja Lackner (Hauptdezernentin der Bezirksregierung Arnsberg), Christoph Ewers (Bürgermeister der Stadt Burbach) und Christopher Mennekes (Geschäftsführender Gesellschafter der MENNEKES Elektrotechnik GmbH & Co. KG) die Teilnehmer*innen des ersten Podiums. Vor dem Hintergrund des steigenden Durchschnittsalters praktizierender Ärzt*innen stellte Dr. med. Anja Lackner politische Maßnahmen vor, die diesem Trend entgegenwirken sollen. Sie hob die Hausarztförderung hervor und die zusätzlichen Medizinstudienplätze, die seit drei Jahren über die sogenannte Landarztquote vergeben werden. Die ersten dieser angehenden Mediziner*innen werden voraussichtlich in acht bis zehn Jahren praktizieren können. Dr. med. Anja Lackner betonte zudem die bedeutende Rolle der Pflege und berichtete, dass in den letzten Jahren die Zahl der Auszubildenden im bundeseinheitlichen Pflegeausbildungssystem durch Förder- und Umstrukturierungsmaßnahmen deutlich gestiegen sei. Des Weiteren stellte sie heraus, dass dringend bundesweit einheitliche Patient*innenakten benötigt würden – Ärzt*innen, Pflegefachkräfte, Krankengymnast*innen und Apotheker*innen müssten auf das gleiche Datentool zugreifen können. Mit Bezug auf den Datenschutz ergänzte sie: „Der Patient ist der Träger der Daten, ihm gehören die Daten.“
Gesundheitliche Versorgung als wichtiger Standortfaktor für Unternehmen und Kommunen
Christopher Mennekes hob gute gesundheitliche Versorgungsmöglichkeiten für die Wirtschaft als wichtigen Standortfaktor hervor. Gerade Unternehmen mit Sitz im ländlichen Raum wie die MENNEKES Elektrotechnik GmbH & Co. KG würden Probleme bei der Gewinnung und auch beim Halten von Mitarbeiter*innen bekommen, wenn die gesundheitliche Versorgung in der Region nicht sichergestellt würde. „Ich sehe im unternehmerischen Alltag, was mit Digitalisierung möglich ist“, so Christopher Mennekes. Er ergänzte, dass Unternehmen ohne Digitalisierung gar nicht mehr wettbewerbsfähig wären. Gleichermaßen würde dringender Handlungsbedarf für die Digitalisierung im Gesundheitswesen bestehen – insbesondere im ländlichen Raum.
Christoph Ewers, Bürgermeister der Stadt Burbach, fügte hinzu, dass die ärztliche Versorgung auch auf kommunaler Ebene ein wichtiger Standortfaktor sei. Er betonte die Bedeutung des vor Ort erfolgreich verlaufenen DataHealth-Projektes und berichtete von der aktuellen Situation in Burbach und den Möglichkeiten, Mediziner*innen von kommunaler Seite zu unterstützen. „Wenn Digitalisierung dazu beitragen kann, die Situation zu verbessern, dann unterstützen wir das gerne“, so Christoph Ewers.
Digitalisierung und Gesundheitsversorgung – wie passt das zusammen?
Das zweite Podium mit den Expert*innen Prof. Dr. Stephan Jonas (Institut für Medizininformatik, Universitätsklinikum Bonn), Prof. Dr. Sylvia Thun (Berlin Institute of Health, Charité Berlin) und Dr. Christian Weber (Universität Siegen) wurde von Prof. Dr. Rainer Brück und Dr. Olaf Gaus moderiert. Im Mittelpunkt der Diskussion stand mit der KI ein bedeutender Faktor, um digitale Versorgungsprozesse umsetzen zu können. Es wurde beleuchtet, wie die KI gestaltet sein muss, um sich in der Versorgungspraxis auf die KI-generierten Ergebnisse verlassen zu können. Dr. Christian Weber erklärte, dass KI die kognitiven Prozesse des Menschen unterstützen sollte. Anhand der Erklärbarkeit der Algorithmen ließe sich überprüfen, ob dieses Ziel erreicht würde. „Die Digitalisierung bewegt sich schneller, als kulturelle Prozesse nachziehen können“, so Dr. Christian Weber. Er ergänzte: „Wir müssen in der Wissenschaft zusammen mit der Gesellschaft eine neue Kultur schaffen, in der der Austausch und das Schaffen des Wissens, wie man mit Technik und Digitalem umgeht, gemeinsam erarbeitet wird.“
Auch Prof. Dr. Stephan Jonas betonte die Bedeutung der KI im Hinblick auf digital übermittelte Vitaldaten der Patient*innen. Die Auswertung dieser Daten könnte aus Zeitgründen nicht manuell erfolgen, sondern es sei eine Vorbearbeitung durch eine KI notwendig. Dr. Olaf Gaus strich in diesem Zusammenhang die Bedeutung von ‚Datenräumen‘ heraus, die mit einer Intelligenz ausgestattet sein müssten, die die Herausgabe genau der Daten ermöglicht, die gerade benötigt würden. Patient*innen würden profitieren, indem sie ihren digitalen Zwilling an Spezialist*innen senden könnten. Zudem würde die KI-gestützte Auswertung der gesammelten Daten für die Patient*innen von großem Nutzen für Prädiktion und Prävention sein, erklärte Dr. Olaf Gaus.
Wie muss sich die konventionelle Medizin konkret ändern?
Prof. Dr. med. Veit Braun (Chefarzt Neurochirurgie, Diakonie Klinikum Jung-Stilling) begrüßte auf Podium 3 Prof. Dr. med. vet. Jan Ehlers (Didaktik und Bildungsforschung im Gesundheitswesen, Universität Witten/Herdecke), Dr. med. Thorsten Hornung (Universitätsklinikum Bonn) und Hartmut Rohlfing (Hausarztpraxis Rohlfing/Fingerhut, Halver). Anhand von Beispielen aus der Praxis sprachen die Teilnehmer dieses Podiums über konkrete Hindernisse, denen das Fortschreiten der Digitalisierung im Gesundheitswesen aktuell gegenübersteht und stellten mögliche Lösungsansätze vor.
Prof. Dr. med. vet. Jan Ehlers ging auf die Änderungen des Medizinstudiums in den letzten Jahren ein und machte deutlich, dass digitale Gesundheitskompetenzen vermehrt vermittelt werden müssten. Es sei die Aufgabe der Politik, die Digitalisierung in die Curricula zu integrieren. Hausarzt Hartmut Rohlfing beschrieb aktuelle Hürden der Digitalisierung aus der Praxis. „Die Daten müssen aufgearbeitet werden und digital verfügbar sein, so dass der Arzt in der Versorgung gut damit arbeiten kann“, so Hartmut Rohlfing. Er betonte den Wert der weiterhin analog stattfindenden Gespräche zwischen den Patient*innen und ihren Hausärzt*innen. Auch die Datenschutz-Grundverordnung würde die Vorteile der Digitalisierung noch häufig hemmen, ergänzte Prof. Dr. med. Veit Braun. So könnten z. B. bei einem Notfall wichtige Informationen wie die Medikation von Patient*innen häufig noch nicht direkt abgerufen werden.
Zum Ende der Veranstaltung zog Prof. Dr. Rainer Brück ein positives Fazit: „Es ist uns gelungen, Daten ins Zentrum dieser Veranstaltung zu stellen.“ Er ergänzte, dass viele Partner – z. B. Politiker*innen, Wissenschaftler*innen, Mediziner*innen und Patient*innen – zusammenarbeiten müssten, um die Daten sinnvoll zu nutzen und den Umgang damit als profitabel zu empfinden. Er schloss die Veranstaltung mit den Worten „Packen wir‘s an!“
Die Aufzeichnung der Datenmedizin-Konferenz können Sie sich hier in voller Länge anschauen.