„Verbesserte digital unterstützte Patientenpfade für Disease-Management-Programme (DMP) für Menschen mit Diabetes Typ 1 und 2“ – so lauteten Thema und Herausforderung des ersten Workshops der Reihe „Patientenpfade im digitalen DMP Diabetes“, den die Bertelsmann Stiftung unter Leitung von Andrea Fürchtenicht und Marion Grote Westrick vom Programm Gesundheit gemeinsam mit Dr. Jörg Caumanns von der _fbeta GmbH in Berlin veranstaltete. Der Workshop bot die Möglichkeit zum Austausch über bisherige Erfahrungen mit DMP-Programmen und konkrete Umsetzungskonzepte für eine digital gestützte Diabetes-Versorgung. Auch Dr. Olaf Gaus, geschäftsführender Leiter der Digitalen Modellregion Gesundheit Dreiländereck (DMGD), war eingeladen und konnte die Erfahrungen einbringen, die im Rahmen der DMGD-Projekte und des beantragten Projektvorhabens „DM2go“ in Kooperation mit dem Institut für Digitale Allgemeinmedizin der RWTH Aachen gesammelt wurden.
Auf Basis des bereits erarbeiteten Konzepts im Projekt „DiGA PRO“ bestand das Ziel des Workshops darin, gemeinsam mit Expert*innen aus allen Sektoren der Gesundheitsversorgung, -versicherung, -industrie und Interessenverbänden die Entwicklung hybrider Versorgungspfade anschaulich zu gestalten und prozessual, in Einzelschritte zerlegt, zu diskutieren, um so patientenindividuelle Abläufe in der DMP-Diabetes-Mellitus-Versorgung für Patient*innen, Ärzt*innen, Diabetolog*innen und Pflegende nachvollziehbar und bewertbar zu machen.
Insgesamt wurden vier exemplarische Patientenpfade diskutiert, die als Fallbeispiele dienten. Die dafür definierten Phasen berücksichtigten die (1) medikamentöse Therapie, die (2) basal unterstützte orale Insulin-Therapie, (3) die Versorgung im Anschluss an Folgeerkrankungen (z. B. Herzinfarkt und eine Verschlechterung der Stoffwechselprozesse) und schließlich (4) den Umgang mit dem polyneuropathischen Syndrom und den erforderlichen Therapieanpassungen.
Auf der Grundlage der erforderlichen Versorgung wurde diskutiert, wie die entstandenen und neu entstehenden Innovationen digitaler Unterstützung – auch vor dem Hintergrund rückläufiger Versorgungsressourcen – qualitativ hochwertig eingesetzt werden können. Im Workshop spielte dabei insbesondere die Frage nach Möglichkeiten patientenindividueller Datengewinnung eine zentrale Rolle. Dr. Olaf Gaus wies auf die innerhalb der DMGD getesteten Verfahren des Patientenmonitorings hin, die insbesondere in der ambulanten Versorgung helfen können, bei regelhaftem Selbstmonitoring Folgeerkrankungen mindestens zu verzögern. Er sprach sich dafür aus, dass der „Datenschutz“ angesichts der sich prekär entwickelnden Versorgungslage nicht länger als Ausrede benutzt werden dürfe, intersektoral und ambulant frühzeitiger mit hybriden Versorgungsprozessen unter Auflagen der Evaluation in Modellregionen zu experimentieren. Das sei für eine Modernisierung und Effizienzsteigerung der intersektoralen Versorgung nach SGB V (medizinische Versorgung) und SGB XI (Pflege) unerlässlich. Gaus erhielt Zustimmung anwesender Workshop-Expert*innen, dass man nicht länger auf Gesetzesreformen als Grundlage für die Umsetzung in der Versorgung warten dürfe, sondern die Gesetzeslage an bewilligte experimentelle neue Versorgungsformen anpassen solle: „Man muss kein Marxist sein, um zu erkennen, dass es uns in der derzeitigen Versorgungslage helfen würde, dialektisch, also in vermeintlichen Widersprüchen, zu denken. Wenn es uns nicht gelingt, die Auswirkungen des demografischen Faktors und die Fehlfinanzierung des Gesundheitswesens innerhalb der kommenden fünf Jahre in konstruktive Bahnen zu lenken, werden wir mit der Triage leben müssen. Darum brauchen wir das kontrollierte Experiment in der Gesundheitsversorgung.“ Dafür, so Gaus weiter, müsse die Möglichkeit der Öffnungsklauseln, etwa im Datenschutz (Art. 54 Abs. 1 lit. a DSGVO), mutiger genutzt werden: „Unsere europäischen Nachbarn machen es uns vor.“
Die DMGD setzt sich bereits im Rahmen der Datenmedizin mit einer digitalen Überarbeitung und Unterstützung bestehender DMP-Programme auseinander. Jüngst wurde dazu ein Projekt beim Innovationsfonds beantragt mit dem Titel „DM2go – Digitale Medizin als Disease Management 2go“. Die Konsortialführung hat Univ.-Prof. Dr. med. Martin Mücke als Leiter des Instituts für Digitale Allgemeinmedizin der RWTH Aachen inne. Ziel des Projektvorhabens ist es, diverse DMP digital zu überarbeiten und dazu unter anderem ein Disease Monitoring Center zu etablieren, worüber von Patient*innen erfasste Vitalwerte ausgewertet werden und in Form von Reports in die ärztliche Beurteilung einfließen können. Dies soll die Dokumentation für Hausarztpraxen erleichtern, das Selbstmanagement der Patient*innen fördern und zugleich eine bessere Datenbasis als Entscheidungsgrundlage für Behandlungs- oder Präventionsmaßnahmen schaffen. Mehr über das geplante Projekt finden Sie hier.