Im gemeinsamen virtuellen Workshop „Zukunft der digitalen Gesundheitsversorgung im ländlichen Raum – Herausforderungen und Chancen“ diskutierten über 100 Teilnehmer*innen auf Einladung der Digitalen Modellregion Gesundheit Dreiländereck (DMGD) und dem Gesundheitsregion KölnBonn e. V. die dringenden intersektoralen Implikationen im Kontext der ländlichen Gesundheitsversorgung.
Die rückläufigen Zahlen der niedergelassenen Ärzte im ländlichen Raum bei einer gleichzeitig versorgungsbedürftigeren Gesellschaft stellen betroffene Regionen überall in Deutschland vor große Herausforderungen. Um auch zukünftig eine qualitativ hochwertige Gesundheitsversorgung auf dem Land sicherzustellen und zu optimieren, werden innovative Lösungsansätze gebraucht. Seit 2019 entwickelt das Forschungskolleg (FoKoS) deshalb in Zusammenarbeit mit der Lebenswissenschaftlichen Fakultät (LWF), beide Universität Siegen, einer Vielzahl von Kommunen und niedergelassenen Medizinerinnen und Medizinern in der Digitalen Modellregion Gesundheit Dreiländereck (DMGD) eine Datenmedizin zur Entlastung der ländlichen Gesundheitsversorgung. Der Grundgedanke dabei ist, dass mit dem Einsatz digitaler Technik eine zusätzliche Versorgungsperspektive geschaffen wird, Ärztinnen und Ärzte jedoch weiterhin im Mittelpunkt stehen. Digitalisierung soll also Grenzen in der Gesundheitsversorgung überwinden und Mediziner*innen unterstützen – sie aber nicht ersetzen.
Mittlerweile sind aus der DMGD zehn wissenschaftliche Projekte hervorgegangen, die in den Bundesländern Rheinland-Pfalz, Hessen und Nordrhein-Westfalen durchgeführt werden und das Problem des Hausärztemangels aus unterschiedlichen Perspektiven angehen. Die Forschungsergebnisse sollen für die beteiligten Akteure aus dem Gesundheitswesen sowie für die Patientinnen und Patienten einen echten Mehrwert haben und deshalb zeitnah in die Anwendung übergehen.
Workshop erörtert Herausforderungen & Chancen der digitalen Gesundheitsversorgung
Auch die Vernetzung und Kooperation mit Gesundheitsinstitutionen und anderen Forschungseinrichtungen sowie der Zusammenschluss mit Regionen über das Dreiländereck hinaus sind ein wichtiges Anliegen im Rahmen der DMGD. In Zusammenarbeit mit dem Gesundheitsregion KölnBonn e. V. fand deshalb am 19. November 2020 der gemeinsame Online-Workshop „Zukunft der digitalen Gesundheitsversorgung im ländlichen Raum – Herausforderungen und Chancen“ statt, der den Fokus auf die dringenden intersektoralen Implikationen im Kontext der ländlichen Gesundheitsversorgung legte. Moderiert wurde die Veranstaltung von Dr. Albrecht Klöpfer, Leiter des iX-Instituts für Gesundheitssystem-Entwicklung in Berlin.
Der 2009 ins Leben gerufene Verein Gesundheitsregion KölnBonn versteht sich als branchenweites umfassendes Netzwerk von Unternehmen, Einrichtungen und Verbänden des Gesundheitswesens. Er möchte dazu beitragen, die Region Köln/Bonn zu einem national und international beachteten und anerkannten Gesundheitsstandort zu entwickeln und auszubauen. Darin zeigen sich konzeptionelle Parallelen zur Digitalen Modellregion Gesundheit Dreiländereck. Mittlerweile umfasst der Gesundheitsregion KölnBonn e. V. rund 140 Mitglieder, die ihre Kompetenzen u. a. aus den Bereichen medizinische Spitzenforschung, Aus- und Weiterbildung, Pharmazeutische Industrie und Biotechnologie, Medizintechnik, Patientenversorgung und Krankenversicherung einbringen.
Medizinische Versorgung darf nicht an Ländergrenzen Halt machen
Für den virtuellen Workshop hatten sich über 100 Teilnehmer*innen aus beiden Gesundheitsregionen angemeldet, um gemeinsam neue Lösungsansätze zu finden und Projektideen entstehen zu lassen. Wichtige Impulse für die Diskussion lieferten mehrere Kurzvorträge, angefangen mit Prof. Dr. med. Dr. h. c. mult. Wolfgang Holzgreve, MBA (Vorstandsvorsitzender des Gesundheitsregion KölnBonn e. V., Ärztlicher Direktor und Vorstandsvorsitzender des Universitätsklinikums Bonn) und Prof. Dr. Christoph Strünck (Gründungsdekan der Lebenswissenschaftlichen Fakultät, Lehrstuhl für Politik/Sozialpolitik an der Philosophischen Fakultät der Universität Siegen), die in ihrer Begrüßung die gemeinsame Mission von DMGD und Gesundheitsregion KölnBonn e. V. hervorhoben. „Ich bin überzeugt, dass wir die Zukunft der digitalen Gesundheitsversorgung im ländlichen Raum mitgestalten können“, so Holzgreve. „Die Herausforderungen gilt es gemeinschaftlich zu meistern und die Chancen zu nutzen.“
Virtuelles Krankenhaus kann Gesundheitssektoren vernetzen
In seinem Impulsvortrag „Gesundheitsversorgung im ländlichen Raum“ stellte Dr. Olaf Gaus (Geschäftsführer des FoKoS, Projektleitung DMGD) die DMGD und ihre Projekte vor, darunter auch das Vorhaben „DataHealth Interregio“, das im August vom FoKoS und seinen Konsortialpartnern beim Innovationsfonds des Gemeinsamen Bundesausschusses eingereicht wurde. Er stellte außerdem das Konzept des „virtuellen Krankenhauses“ zur Diskussion – eine digitale Plattform für den Austausch zwischen Krankenhäusern und niedergelassener Ärzteschaft, durch die eine Interkonnektivität zwischen diesen Akteuren und auch den Patientinnen und Patienten hergestellt werden soll. „Mit der Digitalen Modellregion haben wir zunächst die Hausärztinnen und Hausärzte adressiert“, erklärte Gaus. „Im nächsten Schritt haben wir weitere Bereiche aus dem Gesundheitssektor einbezogen, etwa die Pflege, aber auch die Kliniken. Wir wollen diese intersektoralen Bereiche lokal und regional auf digitaler Basis zum Nutzen der Patientinnen und Patienten besser vernetzen – das ist die ernstgemeinte Absicht.“
Der Pflegenotstand in Deutschland muss in Digitalisierungsprozessen mitgedacht werden
Dem Thema Pflege wurde im Konzept des Workshops bewusst eine wichtige Rolle zugeschrieben, denn auch hier sieht sich gerade der ländliche Bereich mit einer Problemlage konfrontiert: Pflegedienste sind oft überlastet und müssen Aufträge ablehnen, immer mehr Menschen leben außerdem ohne Angehörige in der Nähe. Besonders deutlich hervorgehoben wurde die Relevanz dieses Themas von Dr. Ursula Kriesten, MBA (Gesundheits- und Pflegewissenschaftlerin, Vorstandsmitglied des Gesundheitsregion KölnBonn e. V.) in ihrem Vortrag „Pflegerische Versorgung durch Digitale Transformation“.
Ursula Kriesten bemängelte darin, dass Digitalisierungsstrategien im Gesundheitssektor oft zu einseitig auf die medizinische und zu wenig integrativ auf die pflegerische Versorgung ausgelegt seien. Digitale Unterstützungsangebote für die (häusliche) Pflege seien längst nicht ausreichend vorhanden. In der Regel werde zudem nicht systematisch zwischen Patient*innen und Pflegeempfänger*innen unterschieden. Ursula Kriesten betonte auch, dass in Digitalisierungsprozessen die Parameter „Teilhabe“ und „Selbstbestimmung“ stets mitgedacht werden müssen: „Es geht um reale Lebensbedarfe, Lebensorte sowie Lebensaktivitäten, die an der Basis erfragt werden müssen, sodass der digitale Unterstützungsbedarf eruiert werden kann“, so Kriestens Fazit.
Gemeinsam die Zukunft der digitalen Gesundheitsversorgung mitgestalten
Mit den in den Impulsvorträgen angeregten und weiteren Themen, darunter insbesondere die Akzeptanz digitaler Maßnahmen bei den Bürgerinnen und Bürgern sowie der unerlässliche Datenschutz, setzten sich in einer abschließenden Podiumsdiskussion Prof. Dr. Rainer Brück (Professur für Medizinische Informatik und Mikrosystementwurf, Stellvertretender Direktor des FoKoS, Studiendekan Lebenswissenschaften der LWF, Universität Siegen), Jürgen Dolle (Leiter Sozialpolitik, Gesellschaft für Versicherungswissenschaft und -gestaltung e. V.), Dr. Olaf Gaus, Sascha Klein (Geschäftsführer der Klinikum Oberberg GmbH), Dr. Ursula Kriesten, MBA, und Dr. Alexia Zurkuhlen (Institutsleiterin des gewi-Instituts für Gesundheitswirtschaft e. V., Geschäftsführerin der HRCB Projekt GmbH) auseinander. Festgehalten wurde dabei, dass beide Gesundheitsregionen Gelegenheiten für Projektkooperationen im intersektoralen und interprofessionellen Umfeld der Gesundheitsversorgung ausloten wollen. Solche Projekte, darin waren sich alle Teilnehmenden einig, sollen stets die individuelle Versorgung der Menschen in den Mittelpunkt stellen: „Das ist nicht die erste und wird garantiert nicht die letzte Diskussion zu diesem Thema“, stellte Dr. Alexia Zurkuhlen abschließend fest. „Das heute war eine ganz wichtige Diskussion. Es ist toll, dass dabei auch Akteure berücksichtigt worden sind, die im Bereich Digitale Gesundheit bislang weniger Aufmerksamkeit erhalten haben.“