Standortfaktor Gesundheitsversorgung: Die Digitale Praxis als zukünftiges Versorgungsmodell?

Die Sommerkonferenz der Digitalen Modellregion Gesundheit Dreiländereck (DMGD) am 28. Juli 2022 bot Expert*innen aus den Bereichen Gesundheit, Wissenschaft, Politik und Wirtschaft die Möglichkeit, gemeinsam über die Sicherstellung der Gesundheitsversorgung im ländlichen Raum und eine Entlastung der Hausärztinnen und Hausärzte durch digitale Lösungen zu diskutieren.

Um die Gesundheitsversorgung der Zukunft gerade im ländlichen Raum zu unterstützen und langfristig sicherzustellen, hat die Digitale Modellregion Gesundheit Dreiländereck (DMGD) der Universität Siegen in den letzten Jahren mehre Forschungsprojekte im Bereich Digitale Gesundheit auf den Weg gebracht. In diesen Projekten wird beispielsweise erprobt, welche digitalen Lösungen sich zur Entlastung von Hausärzt*innen eignen und wie auch Patient*innen von der Digitalisierung des Gesundheitswesens profitieren können. Der Hintergrund: Im Dreiländereck der Bundesländer Nordrhein-Westfalen, Hessen und Rheinland-Pfalz wird eine flächendeckende hausärztlichen Versorgung immer mehr zum Problem. Das Durchschnittsalter der niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte liegt bei 55 bis 57 Jahren – und in zehn Jahren wird die Hälfte von ihnen nicht mehr praktizieren. Nachfolger sind jedoch kaum in Sicht. Zeitgleich wird die Altersklasse der über 60-Jährigen bis 2030 stark zunehmen, was die Nachfrage sowie die Gesundheitskosten in die Höhe treibt.

Dass die Lage ernst ist, betonte am vergangenen Donnerstag auch die Moderatorin der DMGD-Sommerkonferenz, Beate Schmies (Leiterin des WDR-Studios Siegen): „Das Thema betrifft uns alle, denn bei unserer Gesundheitsversorgung tickt die Uhr – oder viel dramatischer noch: eine Zeitbombe, gezündet durch den demographischen Wandel. Den Ärztemangel spüren wir Patientinnen und Patienten bereits seit einiger Zeit und stellen fest, dass die Wartezimmer immer voller werden und die Hausärzte sich weniger Zeit für uns nehmen können. Bei Fachärzten müssen wir oft monatelang warten – und auch im Krankenhaus fehlt Personal.“

Intersektorale Vernetzung als entscheidender Faktor für die Gesundheitsversorgung der Zukunft

Mit der diesjährigen Sommerkonferenz „Standortfaktor Gesundheitsversorgung: Die Digitale Praxis als zukünftiges Versorgungsmodell“ richtete die Digitale Modellregion Gesundheit Dreiländereck (DMGD) bereits zum dritten Mal eine Veranstaltung aus, in deren Rahmen die Forschungsprojekte der Initiative einer breiten Öffentlichkeit vorgestellt und von Expert*innen aus den Feldern Gesundheit, Wissenschaft, Politik und Wirtschaft diskutiert wurden. Den Anfang des Formats machte 2021 die DMGD-Sommerkonferenz #DataHealthRevisited. Im Dezember desselben Jahres folgte die DMGD-Winterkonferenz zum Thema Digitale Praxis, die den Fokus auf gesundheitliche Versorgungskonzepte für den ländlichen Raum legte.

Im Mittelpunkt der diesjährigen DMGD-Sommerkonferenz stand die im Juni 2022 angelaufene Projektstudie Telemed@ATN, die in Kooperation mit der Hansestadt Attendorn durchgeführt wird. Dabei soll für die nachhaltige Sicherstellung der gesundheitlichen Versorgung am Beispiel der Digitalen Praxis ein geeignetes Geschäftsmodell nach dem „Public Private Partnership“-Ansatz entwickelt werden. Der Einsatz von Datenmedizin wird die existierenden, herkömmlichen Geschäftsmodelle dabei nicht nur erweitern, sondern auch umformen. „Die Gesundheitsversorgung der Zukunft muss interdisziplinär und intersektoral sein – denn es ist nicht nur die Medizin betroffen“, erklärte Dr. Olaf Gaus, geschäftsführender Leiter der DMGD. „Wichtig ist eine Vernetzung aller Akteure im städtischen Gesundheitswesen. Dazu zählen die ambulante hausärztliche Versorgung, Fachärzte und Krankenhäuser, aber auch die klinische und ambulante Pflege sowie die Apotheken.“

Durch die intersektorale Vernetzung können Versorgungsabläufe neu gestaltet und vereinfacht werden. Dies berichtete auch Prof. Dr. med. Nabeel Farhan, der die Projekte der DMGD als Studienarzt begleitet: „Die intersektorale Vernetzung ist zeiteffizient und zielführend. Wenn ich im Krankenhaus arbeite, dann verbringe ich oft die Hälfte meiner Arbeitszeit damit, Haus- und Fachärzte zu erreichen, um Dokumente und Daten für die Behandlung zu erhalten. Ein gemeinsames, digitales Netzwerk, wie es die Digitale Praxis vorsieht, würde diese Prozesse deutlich beschleunigen und vereinfachen.“

Kommunen gehen mit gutem Beispiel voran

Aktuell sind es vor allem die Kommunen, die sich mit der gesundheitlichen Versorgung der Zukunft beschäftigen und innovative Ansätze zu deren Sicherstellung erproben. Vor Ort lässt sich eine große Offenheit der Beteiligten beobachten, was am Abend der DMGD-Sommerkonferenz auch Jennifer Siebert (Leiterin Regional- & Kreisentwicklung, Kreis Altenkirchen) berichtete: „Die Beteiligung am Forschungsprojekt in Kooperation mit der DMGD war sehr hoch, was auch daran gelegen hat, dass wir uns in Altenkirchen schon sehr früh öffentlich mit dem Thema Digitale Gesundheit beschäftigt haben. Es haben sich auch viele Arztpraxen am Projekt beteiligt, weil allen die Problematik des Ärztemangels in Altenkirchen sehr bewusst ist.“ Im Kreis Altenkirchen wurde das DMGD-Projekt NäPa – Digitale Unterstützung von Nichtärztlichen Praxisassistent*innen für Hausbesuche bei Patient*innen durchgeführt.

Hans-Josef Vogel (Regierungspräsident der Bezirksregierung Arnsberg) sieht in der Initiative der Kommunen eine besondere Chance: „Die Kommunen haben die größten Freiheiten aufgrund ihrer kommunalen Selbstverwaltung – und die Universitäten mit einer hohen Selbstverwaltungsgarantie. Wenn beide sich zusammentun, wie es in der DMGD bereits passiert, kann Druck erzeugt werden. Es ist gut, dass dieser Prozess von unten angestoßen wird. Aber auch von oben müssen die richtigen Rahmenbedingungen geschaffen werden.“

Zukunftstaugliche Strukturen für die Gesundheitsversorgung müssen gemeinsam gebildet werden

In Attendorn, wo im Rahmen des Projekts Telemed@ATN das gemeinsame „Public Private Partnership“-Modell erprobt werden soll, kommen aktuell Akteure aus Politik und Verwaltung, Bürgerinnen und Bürger sowie Ärztinnen und Ärzte zusammen – und auch die Wirtschaft findet Berücksichtigung. „Wenn ich als Arbeitgeber attraktiv sein will, dann muss ich eben nicht nur einen tollen Arbeitsplatz haben und interessante Teams – nein, dann stellt sich auch die Frage, wie ist denn die gesundheitliche Versorgung in der Region, in der ich tätig sein soll“, betonte Arndt Kirchhoff (Vorsitzender des Beirats der KIRCHHOFF Gruppe und Präsident von unternehmer nrw). „Um ein attraktiver Arbeitgeber zu sein, müssen wir auch die Frage beantworten: Wie sieht es aus mit der Gesundheitsversorgung?“

Noch ein Jahr lang läuft das Forschungsprojekt Telemed@ATN. Über die Ergebnisse des Projekts in Attendorn soll dann in einer weiteren Konferenz berichtet werden. „Dann werden wir wissen, wie sich eine Digitale Praxis im Verhältnis zu einer Stadtgesellschaft bewegt und welches Modell sich dort bewähren kann“, so Dr. Olaf Gaus.

 

Den Mitschnitt der DMGD-Sommerkonferenz „Standortfaktor Gesundheitsversorgung“ finden Sie hier:

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