Das wissenschaftliche Projekt „DataHealth – Monitoring von Vitaldaten zur Unterstützung der Gesundheitsversorgung im ländlichen Raum am Beispiel des Burbacher Hickengrunds“, welches von der „Digitalen Modellregion Gesundheit Dreiländereck“ (DMGD) der Lebenswissenschaftlichen Fakultät (LWF) der Universität Siegen durchgeführt wurde, liefert neue Erkenntnisse für die gesundheitliche Versorgung. Vitaldatenwerte, die durch Selbstmonitoring erhoben und automatisiert an Arztpraxen übermittelt wurden, können demnach in ihrer Vielzahl die Prävention und Diagnostik unterstützen. Die Anwendung ist technisch in telemedizinische Strukturen integrierbar. Die Studienergebnisse wurden kürzlich im Detail in der Wilnsdorfer Festhalle präsentiert. Das anwesende Fachpublikum aus dem südlichen Siegerland diskutierte anschließend mit den Wissenschaftlern über die Verwertbarkeit in der Region und signalisierte damit Interesse an einem Folgeprojekt.
„Die Studie ist der Beweis dafür, dass Datenmedizin funktioniert und sinnvoll ist“, sagt Dr. Olaf Gaus, der geschäftsführende Leiter der DMGD und ergänzt: „Präsenzversorgung und Telemedizin müssen wir als Einheit zusammenbringen“. Gaus ist davon überzeugt, dass die Datenmedizin – in welcher Form auch immer – zukünftig ein wichtiges Element darstellen wird, um die Versorgung in ländlichen Regionen sicherstellen zu können. Während der Projektphase haben Patientinnen und Patienten eigenständig oder mit Hilfe ihre Gesundheitsdaten wie Sauerstoffsättigung, Herzfrequenz oder Blutdruck mit verschiedenen handelsüblichen, aber zertifizierten Geräten gemessen. Über eine App wurden diese Daten an die zuständige Hausarztpraxis übermittelt. Auf diese Weise konnten Auffälligkeiten und Veränderungen schnell erkannt werden. So berichtete der Studienarzt Prof. Dr. med. Nabeel Farhan, dass während der einjährigen Studie die Medikation von 13 der 40 teilnehmenden Personen auf Basis der übertragenen Daten zeitnah angepasst werden konnte. Das Vitaldatenmonitoring wurde während der Interventionsphase in erster Linie zur Prävention eingesetzt.
Der Studienarzt Prof. Dr. med. Veit Braun, zugleich Prodekan Digital Health Care an der LWF und Chefarzt der Neurochirurgie am Siegener Jung-Stilling-Krankenhaus, signalisierte, dass die Hälfte der vorhandenen Zeit mit Dokumentationsarbeit verbracht werden müsse und bei der Patientenversorgung fehle. Er berichtete, dass technische Verfahren, die bereits entwickelt wurden und Entlastung bringen könnten, bislang durch die Gesetzgebung blockiert werden. Dann sprach er über Verfahren der Künstlichen Intelligenz (KI), wie sie auch bei einem möglichen DataHealth-Folgeprojekt zum Einsatz kommen könnten, denn schließlich müssen die übermittelten Vitaldaten gesichtet und ausgewertet werden. Da es zeitlich fast unmöglich ist, die Menge an erhobenen Vitalwerten manuell zu sichten, könnte in einem nächsten Schritt eine automatisierte (Vor-)Auswertung mittels KI erfolgen. Der Experte erklärte, dass sich mit diesen Methoden leicht Ausreißer in medizinischen Daten und frühzeitig Vorerkrankungen der Patientinnen und Patienten erkennen lassen. Gezielt könnten in letzteren Fällen Konsile über telemedizinische Verfahren gebildet werden, die zum Austausch auch auf die bereits erhobenen Vitaldaten zugreifen würden, sofern die Patientinnen und Patienten dem zustimmen.
Dazu hat sich jüngst die Virtuelles Krankenhaus gGmbH des NRW-Ministeriums für Arbeit, Gesundheit und Soziales sowie das ZTG (Zentrum für Telematik und Telemedizin GmbH) mit der Modellregion um Dr. Gaus in Verbindung gesetzt. Die Einrichtungen des Landes Nordrhein-Westfalen sind auf die wissenschaftlichen DMGD-Studien aufmerksam geworden. Geplant ist nun die Entwicklung eines gemeinsamen Konzeptes für ein zukünftiges Versorgungsmodell, welches die Datenmedizin in telematische Verfahren integriert. Wilnsdorfs Bürgermeister Hannes Gieseler, der am Abend als Gastgeber fungierte, hofft in diesem Zusammenhang auch auf eine gemeinsame Finanzierung über die Landesebene, denn das motiviere ihn und die Akteurinnen und Akteure in der Region, über Möglichkeiten eines Anschlussprojektes an die hier entstandene Datenmedizin durch Vitaldatenmonitoring zu sprechen. Bürgermeisterkollege Christoph Ewers aus Burbach würde sich ebenfalls freuen, wenn man als Region an der geschaffenen Basis weiterarbeiten würde: „Hier ist zwischen der Universität, den Arztpraxen und den Patienten schon ein Grundvertrauen und eine gewisse Akzeptanz da. Das ist wichtig, um Modelle für zukünftige Versorgungsverfahren entwickeln zu können“.
„Die Patientinnen und Patienten sollen sich mit dem gesamten Verfahren wohlfühlen. Die App, die die gemessenen Gesundheitsdaten vom Smartphone in die Cloud überträgt, wurde daher möglichst einfach und transparent für die User gestaltet“, erklärte Dr. Kai Hahn, welcher bei Prof. Dr. Rainer Brück am projektbegleitenden Lehrstuhl für Medizinische Informatik und Mikrosystementwurf an der Lebenswissenschaftlichen Fakultät tätig ist. Die Anwendung wurde von den Wissenschaftlern eigens für das Projekt DataHealth entwickelt, um die Gesundheitsdaten der Patientinnen und Patienten zu schützen und um Unabhängigkeit von Lizenzen bestehender Apps zu gewährleisten.
Das primäre Projektziel von der über LEADER-Mittel geförderten Studie bestand darin, mittels digitaler Unterstützung Wege zu finden, Mediziner*innen und Pfleger*innen bei der Versorgung von Patientinnen und Patienten zu entlasten, um die gesundheitliche Versorgung im ländlichen Raum mittel- und langfristig sichern zu können. Die zwei Hausarztpraxen Dr. med. Jozsef Marton und Fudu Yu in Burbach sowie die Christlichen Seniorenhäuser Lützeln, vertreten durch Geschäftsführer Jochen Loos und Pflegedienstleiterin Daniela Dörr, fungierten neben den Gemeinden Burbach, Neunkirchen und Wilnsdorf als Projektpartner. Die Teilnahme am Vitaldatenmonitoring wurde von Marton bzw. Yu bei 21 zu Hause wohnenden Patientinnen und Patienten mit einem Durchschnittsalter von 69,4 Jahren und bei 19 Pflegeheimbewohner*innen mit einem Durchschnittsalter von 87,3 Jahren ärztlich verordnet. Es folgten die Verteilung der Messgeräte und Smartphones mit den installierten Apps zum Datentransfer, eine Ersteinweisung der Teilnehmenden und die Schulung des pflegerischen Personals.
Alexander Keil, der als wissenschaftlicher Mitarbeiter im Projekt beschäftigt war, und sein Kollege Nick Brombach führten den Bürgermeistern, den Ärztinnen und Ärzten und den weiteren Gästen aus dem Gesundheitsbereich und der Politik live vor, wie die Datenmessung und -übertragung in die Cloud abläuft und erklärten im Detail den Prozess. Die technische Benutzerfreundlichkeit wurde sowohl von ärztlicher und pflegerischer Seite als auch seitens der Patientinnen und Patienten als einfach und effizient bewertet. Die Studie hat dargelegt, dass teilweise 87-jährige Teilnehmer*innen in der Lage waren, ihre Daten eigenständig zu erheben und zu übermitteln. Es war während der Erhebung eine Support-Hotline eingerichtet und Probleme konnten meist schnell geklärt werden. Zur technischen Unterstützung wurde außerdem ein Erklärvideo aufgenommen und es wurden regelmäßig Besuche im Pflegeheim durchgeführt.
Bei den teilnehmenden Patientinnen und Patienten, die zu Hause wohnen, zeigten sich sogar Änderungen im Arzt-Patienten-Gespräch, das durch die Erhebung, Übertragung und Auswertung der Daten keinesfalls wegfällt, wie Dr. Olaf Gaus betonte, sondern nur ergänzt wird. Patientinnen und Patienten fragen sich, ob es prädikative Faktoren gibt und wie sich ihre Gesundheit in der Zukunft entwickeln wird. Durch die ihnen vorliegenden Daten werden sie in die Lage versetzt, gezielt Fragen an ihre Ärztin oder ihren Arzt zu richten. Bei manchen konnte zudem ein verbessertes Gesundheitsbewusstsein und eine Änderung ihrer Gewohnheiten beobachtet werden.