Gestern kamen Expert*innen in der Stadthalle in Linz zusammen, um im Rahmen des Workshops „Konzeptentwicklung zur Sicherstellung der zukünftigen gesundheitlichen Versorgung“ über Möglichkeiten zu sprechen, dem Mangel an Hausärzt*innen im Kreisgebiet Neuwied mit digitalen Lösungen zu begegnen. Neben Ärzt*innen, die der Einladung gefolgt waren, nahmen Vertreter*innen des Kreises Neuwied, der Stadt und der Verbandsgemeinde Linz sowie Mitarbeiter*innen der Digitalen Modellregion Gesundheit Dreiländereck (DMGD) an der Veranstaltung vor Ort oder per Livestream teil.
Dr. med. Hans Georg Faust, Bürgermeister der Stadt Linz, eröffnet den Workshop und hofft, „dass von dieser Veranstaltung Impulse ausgehen, die uns in eine vernünftige Zukunft führen.“ Der Alltag für Ärzt*innen solle im kleinstädtischen und ländlichen Umfeld mithilfe von modernen Rahmenbedingungen attraktiv gestaltet werden. Auch Frank Becker, Bürgermeister der Verbandsgemeinde Linz, sieht eine „echte Chance“ durch die Gespräche und priorisiert die gesundheitliche Versorgung der Bürger*innen durch ärztliche Dienstleistungen. Er freut sich mit den Worten „vor dem Tun steht das Wollen“ über die an der Veranstaltung teilnehmenden Ärzt*innen aus dem Landkreis Neuwied und über die gute Zusammenarbeit von Landkreis, Verbandsgemeinde und Stadt.
Aktuelle Situation in der Gesundheitsversorgung
Dr. Olaf Gaus, geschäftsführender Leiter der DMGD, geht in seinem Vortrag zunächst auf die Brisanz des Ressourcenrückgangs in der Gesundheitsversorgung ein. Zu einer sinkenden Anzahl an Ärzt*innen kommt die aufgrund der demographischen Entwicklung älter werdende Gesellschaft. „Trotz des Rückgangs an Ressourcen haben wir ein teurer werdendes Gesundheitssystem“, berichtet Dr. Olaf Gaus und betont in diesem Zusammenhang die Bedeutung von Prävention und Prädiktion. Zudem könnten Formen der Digitalisierung helfen, Ärzt*innen zu unterstützen und somit zu entlasten. Dies könne beispielsweise durch eine automatisierte Auswertung von erhobenen Vitaldaten mittels Künstlicher Intelligenz (KI) geschehen.
Überblick über (Vor-)Studien
Es folgt ein kurzer Rückblick, in dem Dr. Olaf Gaus die Ergebnisse der Bedarfsanalyse für das Projekt „MeineGesundheit – Digital.Nah.Neuwied“ vorstellt. Im Anschluss gibt er Einblicke in die abgeschlossenen DMGD-Studien „DigiDocs“ (Kombination von Telemedizin und Präsenzsprechstunden) und „DataHealth“ (Vitaldatenmonitoring). Die Ergebnisse der Bedarfsanalyse im Rahmen des Projekts „MeineGesundheit – Digital.Nah.Neuwied“ münden in die langfristige Strategie des Aufbaus einer „Digitalen Praxis“, mit der Telemonitoring (häusliche Vitaldatenmessungen) und Telemedizin (z. B. Videosprechstunden) miteinander verbunden werden sollen.
Vorschläge für die nächsten Schritte in Linz
Als Konzept für Linz wird ein Dreiklang aus überlokaler Datenmedizin (TeleDocs und Videosprechstunden), Telemonitoring (Vitaldatenaufnahme) sowie der Synthese aus beidem vorgeschlagen. Die überlokale Datenmedizin basiert auf der abgeschlossenen Vorstudie „DigiDocs“, während das „DataHealth“-Projekt das Fundament für das Telemonitoring bildet. Neu ist die vereinte Erprobung von beiden Maßnahmen in ausgewählten Praxen.
Gesundheitssystem grundsätzlich erneuerungsbedürftig
„Bis zum Jahr 2030 werden mehr als 50 % der Allgemeinmediziner*innen, die eine Hausarztpraxis betreiben, in den Ruhestand gehen“, erklärt Prof. Dr. med. Martin Mücke, Direktor des „Instituts für Digitale Allgemeinmedizin“ an der Uniklinik RWTH Aachen. Auch spiele die Work-Life-Balance bei den Ärzt*innen eine immer größere Rolle. Seiner Meinung nach können die Lücken im Gesundheitssystem langfristig nur mit digitalen Tools geschlossen werden. „Wir, unsere Kinder und unsere Enkelkinder sollten gern hier in der Region leben und sich gut gesundheitlich betreut sehen“, so Prof. Martin Mücke.
Weiter berichtet er von der Bildung einer voll digitalisierten Praxis an der Uniklinik in Aachen, die telemedizinische Sprechstunden und Konsilleistungen für niedergelassene Kolleg*innen in der Region anbietet. Er betont in diesem Zusammenhang die Bedeutung eines gemeinsamen Weiterbildungskonzeptes, in dessen Rahmen niedergelassene Allgemeinmediziner*innen, Weiterbildungsassistent*innen, Studierende und auch interessierte Bürger*innen in die digitale Welt eingeführt werden sollen. Mit diesen Schulungsmöglichkeiten soll verhindert werden, dass nur aufgrund fehlender Kenntnisse gute Ergebnisse von geförderten Projekten im Bereich der Digitalisierung nicht weiterverfolgt werden. Es sei zudem bedeutend, Ärzt*innen bei der Entwicklung von Projekten einzubinden und sie in der Region zu halten, um die neuen Konzepte umsetzen zu können. Prof. Martin Mücke wünscht sich, dass die Region den Weg der Digitalisierung in der Gesundheitsversorgung geht und evtl. sogar Vorreiter in Deutschland wird. „Das Gesundheitssystem wird es – so wie es jetzt ist – in einigen Jahren nicht mehr geben.“
Stimmen aus der sich anschließenden Diskussionsrunde
„In fünf Jahren müssen wir hier ein tragfähiges Konzept haben, sonst gehören wir nicht zu den Regionen, die gewinnen“, sagt auch Prof. Dr. med. Markus Bleckwenn, Facharzt für Innere Medizin und Allgemeinmedizin in Linz, und ergänzt „In zehn Jahren muss dieses Konzept laufen“. Er lobt den Einsatz von Weiterbildungsassistent*innen, der bislang in seiner Praxis für große Entlastung gesorgt hat und erhofft sich weitere konkrete Schritte aus den Studien, die wirklich Unterstützung und keinen Mehraufwand bringen und zeitnah umgesetzt werden können. Es werde dringend „Manpower von außen“ benötigt. Dr. Olaf Gaus stimmt dem zu und ergänzt, dass auch die Patient*innen und Bürger*innen eine bedeutende Ressource bilden, indem sie selbst mithelfen, gesund zu bleiben. Beispielsweise können sie durch das Vitaldatenmonitoring ein besseres Gefühl für ihre Gesundheit bekommen und anhand der gemessenen Vitalwerte erkennen, wann etwas unter ärztlicher Beratung getan werden sollte. Er spricht auch vom DMGD-Konzept „Health Angels“ – aus bürgerlichem, evtl. ehrenamtlichem Engagement heraus könne mit entsprechender Weiterbildung ebenfalls eine Entlastung in verschiedenen Bereichen für den Gesundheitssektor erreicht werden.
Auch werden Aspekte zur Datensicherheit beim Vitaldatenmonitoring angesprochen. Dr. Olaf Gaus versichert, dass die Datenaufzeichnung durch die Verwendung von medizinisch zertifizierten Geräten den Datenschutzvorschriften entspricht. Ebenso ist die Datensicherheit bei Datentransport und -auswertung gewährleistet. Dr. Thomas Münker, sachkundiger Bürger aus Linz, spricht mögliche Probleme durch evtl. fehlende technische Voraussetzungen für Telematik-Dienstleistungen in Pflegeheimen an. Prof. Martin Mücke sieht dahingehend für Linz keine Probleme, da in den nächsten zwei Jahren der Ausbau des Glasfasernetzes geplant ist.
Dr. Olaf Gaus betont, dass das oberste Ziel der ‚Datenmedizin‘ in der Entlastung der Arztpraxen liegt. Um die verbleibende Zeit sinnvoll zu nutzen, bevor die gesundheitliche Versorgung in ländlichen Regionen nicht mehr gewährleistet werden kann, müssten dringend weitere nutzbringende Schritte, die für die Praxen zeitnah und individuell anpassbar umgesetzt werden können, in Abstimmung mit den ortsansässigen Ärzt*innen und beteiligten Kommunen erarbeitet werden.
Wie es weitergeht
Frank Becker, Bürgermeister der Verbandsgemeinde Linz, zeigt sich interessiert, spricht von einem „konkreten Plan“ und ist optimistisch bzgl. der finanziellen Unterstützung. Er dankt allen Teilnehmer*innen, stellt sich als Koordinator und Fürsprecher zur Verfügung und schließt die Veranstaltung mit den Worten „Es ist eine Richtung zu erkennen und diese Veranstaltung hat uns einen Schritt weitergebracht.“ Ein nächstes Zusammentreffen zum weiteren fachlichen Austausch wird angestrebt.